„Strebe nach Ruhe, aber durch Gleichgewicht, nicht durch den Stillstand deiner Taten.“ Friedrich Schiller
Der Satz von Friedrich Schiller stellt ein wichtiges Tai Chi-Prinzip anschaulich dar. Ruhe wird im Tai Chi durch Bewegung entwickelt. Das scheint zunächst verwirrend, da Ruhe und Bewegung von vielen Menschen (richtigerweise) als Gegensätze wahrgenommen werden.
Stillhalten
Wer unruhig ist könnte versuchen, Ruhe durch Stillhalten zu erzwingen. Doch wir alle wissen aus eigener Erfahrung, dass Ruhe durch Stillhalten nicht funktioniert. Stillhalten, um den natürlichen Bewegungsdrang zu unterdrücken, ist eine Qual. Erinnere Dich z. B. an das Stillsitzen in Deiner Schulzeit. Oder stell Dir vor, Du stehst gerade unter akutem Stress. Wenn Du jetzt starr wirst, um die Unruhe zu unterdrücken, dann erlebst Du sehr schnell, dass die Unruhe größer wird und Dich übermannt. Stillhalten vergrößert Deine Unruhe nur noch mehr, da die Bewegungslosigkeit der Unruhe zusätzlichen Raum gibt, sich zu entfalten. Und Du schaust – starr wie ein Reh – ins Scheinwerferlicht Deines Stresses. Der direkte Weg vom Stress zur Ruhe funktioniert also nicht.
Dennoch ist Ruhe natürlich ein für viele erstrebenswerter Zustand. Denn die Unruhe erzeugt Stress und das Gefühl, sich selbst und die Kontrolle zu verlieren. Doch wie erreichen wir wahre Ruhe?
Harmonie
Schiller zieht dem Stillhalten einen anderen Weg vor: Gleichgewicht. Gleichgewicht ist ein Begriff, der uns im Tai Chi ebenfalls regelmäßig begegnet. Als Ausgleich z. B. von Yin und Yang oder auch als Idee von Harmonie. Der Ausgleich von Yin und Yang erzeugt Harmonie. Ein Zustand, der sich zwischen zwei Extremen befindet. Z. B. bist Du dann weder rastlos hetzend noch in Stille veharrend, weder im Außen verloren noch sich von der Außenwelt autistisch abgegrenzt. Innere und äußere Harmonie bedeutet im Tai Chi, dass die Energie um uns herum mit der Energie im Körper in Einklang gebracht wird. Das Mittel dazu ist die Bewegung und das Instrument unser Körper.
Ein Beispiel
In einem Kurs, den ich für die Mitarbeiter einer Klinik gegeben habe, war die Kurszeit genau zwischen zwei Schichten gelegt. So konnten Teilnehmer/innen von der Station am Ende ihrer Schicht und Teilnehmer/innen von Zuhause zu Beginn ihrer Schicht teilnehmen. Wir haben festgestellt, dass die Teilnehmer/innen, die von der Station gekommen sind, die Bewegungen zunächst schneller durchgeführt haben, als diejenigen, die von Zuhause gekommen waren. Durch das Training konnten die „unruhigeren“ Teilnehmer/innen ihr Tempo reduzieren und so durch Bewegungen zu mehr Ruhe finden. Das Erzeugen innerer Ruhe erfolgt also durch ein aktives Handeln hin zum Gleichgewicht und nicht durch „Nichtstun“ oder Weglassen.